Frauen die pfeifen und Hähnen die krähen, muss man beizeiten die Hälse umdrehn!

Karen Duve: "Fräulein Nettes kurzer Sommer" (Galiani Berlin) | 9.11.2018
Karen Duve: "Fräulein Nettes kurzer Sommer" (Galiani Berlin)

Selbst Rousseau, der für eine "aufgeklärte" Gleichberechtigung stand, hatte was gegen Frauen die aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnahmen, ihre Stimmen nicht weiblich hoch "zwitschern" lassen wollten und ungefragt ihre Meinung heraus posaunten. Anna Elisabeth Annette (Nette) von Droste-Hülshoff war ein Enfant terrible ihrer Zeit - eine Vivienne Westwood des 19. Jahrhunderts. Zu früh auf die Welt "gerutscht", spindeldürr und glubschäugig, wird Nette lange unterschätzt. Weil sie nicht der erwünschte Sohn ist (eine Schwester gab es ja schon, warum also noch ein Mädchen?), schafft man die rebellische Göre früh in die Obhut eines Privatlehrers nach Münster. Dem wächst sie schnell über den Kopf, verehrt ihn aber glühend. Angespornt von der harschen Kritik des "Meisters" und endlosen Literaturexerzitien , merkt Nette schnell, dass kritische, sperrige Texte die ihren sind. Sie ist wissbegierig, klug und gerade heraus. Lässt sich keinen Brei ums Maul schmieren, sagt was sie denkt. Gibt bissige Antworten in alle Richtungen und ist nur schwer im Zaum zu halten. Selbst bei den hochverehrten Brüdern Grimm, verballhornt sie deren Namen, macht sich über Wilhem lustig und ist ständig auf Krawall gebürstet. Männerdomänen wie Mineralogie, Politik und Literatur besetzt Nette gegen alle Widerstände und hat überall ein Wörtchen mitzureden. Und auch in amourösen Dingen ist die Droste-Hülshoff aüßerst offensiv unterwegs! Nicht wenige junge Männer fühlen sich angezogen, von dieser "frechen" Person und erfinden delikate, oft geschmacklose Geschichten über angebliche erotischen Zusammenkünfte. Dabei hat Nette nur ein bis zwei wahre Herzensangelegenheiten zu verbuchen. Am Ende kann sie sich selbst nicht treu bleiben und es fehlt an Konsequenz.

Hätte es damals schon eine MeToo-Debatte gegeben, wäre Nette Wegbereiterin für ein aufgeklärtes, selbst bestimmtes Frauenbild geworden. Leider waren die Damen dieser Zeit dem Manne lieber Untertan, als sich von seiner Unterdrückung gemeinsam zu befreien. Die "üblichen Verdächtigen" Heinrich Heine, Hoffmann von Fallersleben, Eichendorff, Goethe und Schiller... wie auch einige unbekannte Literaten und ungute Gesellen treten auf. Man erfährt von Studentenaufruhr, Fremdenhass und politischen Unruhen. Somit wird "Fräulein Nettes kurzer Sommer" ein historisch interessantes Buch, das mehr ist als ein Porträt über die Verfasserin der "Judenbuche" und "Ballade vom Kaben im Moor". Der Annette von Droste-Hülshoff, die an sich selbst und ihren Gefühlen gescheitert ist und doch Wegbereiterin war, in einer Welt des Umbruchs.

Lesen!
Unbedingt Lesen!