Die Makulaturen des Kaiserreichs im Fiebertraum verbrannt

Raphaela Edelbauer:"Die Inkommensurablen" (Verlag Klett-Cotta) | 31.1.2023
In der letzten Nacht, die Österreich noch vom Ende der Monarchie und dem ersten Weltkrieg trennt, treffen drei junge Menschen aufeinder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Klara, die als erste Frau in Mathematik promovieren wird. Adam, der vom adeligen Elternhaus zum Kriegsdienst gezwungen wird und Hans, ein Tiroler Pferdeknecht, der sich einer Wiener Psychoanalytikerin offenbaren möchte. Wie bei Dantes "Göttlicher Kommödie" gelangen die drei Getriebenen von einem Höllenkreis in den anderen. Sie nutzen diese eine Nacht, um mit Alkohol, Drogen, Traumdeutung und viel Hokuspokus, den Sinn des Seins zu verstehen. Wien steht Kopf, unter den jungen Männern gibt es kein Halten mehr, in Scharen laufen sie dem "Rattenfänger Krieg" hinterher. Obwohl Wien eine Metropole und an Kultur, Schönheit und Dekadenz kaum zu überbieten ist, zeigt sich im nächtlichen Aufruhr die hässliche Fratze der Stadt. Jenseits des inneren Rings, einer Kloake ähnlich, verschlingt der Sumpf der Armut ihre Bewohner und öffnet dem Krieg als Lösung Tür und Tor. Zwischen Traum und Wirklichkeit, mathematischen Exkursen und historischen Versatzstücken katapultiert uns Edelbauer in eine düstere Zeitenwende.
Völlig irre und fern bekannter Geschichtsschreibung über den Ersten Weltkrieg. Aber durchaus nachvollziehbar und wahnsinnig spannend. Atemlos folgt man Klara, Adam und Hans. Gruselt sich, ekelt sich, kennt den Ausgang und wünscht doch, es möge einer kommen, den Vorhang senken und und das "Watschenkonzert" mit gutem Ausgang beenden.
Lesen!
Unbedingt lesen!