Von Dandys und Doktoren.

Julian Barnes. "Der Mann im roten Rock" (Kiepenheuer & Witsch) | 21.4.2021

Der unverschämt gut aussehende Dr. Pozzi ist seiner Zeit weit voraus. In Frankreich erhebt er die ersten Hygiene-Gesetze vor Operationen, in England arrangiert er gynäkologische Kongresse von höchster Bedeutung und verkehrt nebenbei mit allen Größen der Belle Epoque. Bringt Franzosen und Engländer zusammen, Dandys und Spießer, Frauen und Männer aller Couleur.
Ein begabter Arzt, kluger Ästhet, begnadeter Liebhaber, Förderer, Freund und Ehemann. Wie dekadent dieses Zeitalter auch war und wie sehr sich Pozzi darüber aufregte: das Fin de Ciècle war bunt, wild, hungrig nach Zerstreuung, verschwenderisch und von höchster kultureller Vielfalt geprägt. Von Händel bis Oscar Wilde und Monet: im Wahren, Schönen und Guten war man sich einig. In der Kunst fand sich manche Freundschaft wieder, die sonst vielleicht im Duell ihr tötliches Ende gefunden hätte.
Überhaupt spielten Attentate, Ehrenkämpfe und wilde Scharmützel eine große Rolle im ausgehenden Jahrhundert. Um Wohlstand, Machtgier und Kolonialbesitz zu verteidigen. Auch da bleibt Pozzi bedacht und stets bescheiden. Klug und bestechend durch große Eloquenz bringt er immer wieder zusammen was eigentlich nicht so recht zusammengeht. Genießt das Ansehen höchster Persönlichkeiten. Reist viel, lässt sich von Sitten und Gebräuchen anderer Länder inspirieren. Und wie zauberhaft und charmant Julian Barnes unseren Lesgenuss mit Vignetten  noch vervielfältigt! Auf fast jeder Seite gibt es kleine Bilder der schillernden Figuren seines Erzähl-Mosaiks. Ein Augenschmaus im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn man die Herkunft und Bedeutung der kleinen Abbildungen erfährt, zeigt sich wiedermal der Schurke in Julian Barnes, der über sich selbst und seine Protagonisten schmunzeln kann...
Dieses Buch ist eine Ode an die Kunst - Brennglas und Kaleidoskop zugleich und macht süchtig!
Was für ein Genuss!
Lesen!
Unbedingt lesen!