"Bloomsday"

Jonathan Franzen: "Crossroads" (Rowohlt) | 20.10.2021

Ein guter Mensch zu sein ist nicht immer einfach. Selbst wenn man erleuchtet, bekehrt und im Dienste Gottes steht. Das erfahren schmerzlich der evangelische Pastor Russ auf Abwegen, seine Frau Marion auf Kriegspfad und seine vier Kinder, die auf der Suche nach sich selbst alle mehr oder weniger die falsche Abzweigung nehmen. Während der  hochbegabte Sohn mit Drogen dealt, die aufmüpfige Tocher das erste mal verliebt ist, träumt der kleinste Spross vom besseren Leben und der größte bekennt sich aus reiner Provokation zu Vietnam. Die 1970er Jahre verbreiten ihren unwiderstehlichen Sound, Frauen legen ihre BHs ab und emanzipieren sich, Männer lassen sich die Haare wachsen, verweigern den Kriegsdienst. Alle reden von Freiheit und Selbstbestimmung. Pfarrer Russ versucht seine Gemeinde in der Kirche  zusammenzuhalten, scheitert aber an den neuen Jugendbewegungen. Seine Familie, an den Rändern längst aufgelöst, gibt ihm weder Halt noch Zuversicht und wird durch sein Begehren einer jungen Witwe aus der Gemeinde zum Wendekreis des Krebses. Die Turbulenzen die Chicago teilweise lahmlegen, wirbeln auch das geordnete Leben der Hildebrandts gehörig durcheinander und stellen pastorale Vorsätze, Nächstenliebe und Uneigennützigkeit auf eine harte Probe. Jeder will ein besserer Mensch sein oder werden. Aber nur wenn es selbst nicht weh tut!
Der erste Teil dieser Trilogie führt uns durch einen Tag tiefster Zerrissenheit einer liberalen Vorstadtfamilie. Da wir ständig vor- und zurück getrieben, einzelne Familiemitglieder genau gescannt werden und keine Leiche im Keller verborgen bleibt, reiten wir mit den Hildebrandts jede Welle des familiären Wahnsinns ab.
Irres Buch. Ein Kosmos der Lügen und Geheimnisse, den man so schnell nicht verlassen möchte.
Je tiefer man eintaucht um so stärker wird der Sog - man kann sich dem kaum entziehen.
Lesen!
Unbedingt lesen!